Rechtlicher Rahmen

Die Veröffentlichung des Digitale Versorgung und Pflege-Modernisierungs-Gesetzes (DVPMG) wirkt sich auf den Ablageort und die Anwendungsfälle des Notfalldaten-Managements in Deutschland aus. Der Notfalldatendatensatz beinhaltet notfallrelevante medizinische Informationen einer versicherten Person, die der behandelnden Person zur Abwendung eines ungünstigen Krankheitsverlaufs sofort zugänglich sein müssen. Die Persönlichen Erklärungen beinhalten Hinweise der versicherten Person auf das Vorhandensein und den Aufbewahrungsort von Erklärungen zur Organ- und Gewebespende sowie Hinweise der versicherten Person auf das Vorhandensein und den Aufbewahrungsort von Vorsorgevollmachten oder Patientenverfügungen.

In § 334 SGB V wird durch das DVPMG die ab 2023 schrittweise Ablösung der kartengebundenen Anwendung des Notfalldaten-Managements geregelt. Laut Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes (KHPflEG) soll das NFDM ab 01. Oktober 2024 in die Online-Anwendung überführt werden. Derzeit liegt der gematik ein Prüfauftrag vor, in dem unter anderem die Verwendung des MIO PKA in der elektronischen Patientenakte (ePA) der Versicherten konzeptuell geprüft wird. Für eine Umsetzung wäre jedoch eine gesetzliche Anpassung notwendig.

Um die Überführung des NFDM in die Online-Anwendung zu ermöglichen, wird die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) gemäß § 355 SGB V Abs. 4 beauftragt, "die semantischen und syntaktischen Vorgaben zu den elektronischen Notfalldaten nach § 334 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 und den Hinweisen der Versicherten nach § 334 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 und 3 (...) unter Berücksichtigung der entsprechenden Festlegungen der Gesellschaft für Telematik so fortzuschreiben, dass diese bei einer Bereitstellung in der elektronischen Patientenkurzakte nach § 334 Absatz 1 Satz 2 Nummer 7 mit internationalen Standards interoperabel sind."

Fachliche Entwicklungsgrundlage

Die von der gematik GmbH veröffentlichte Spezifikation Informationsmodell Notfalldaten-Management (NFDM) in der Version 1.6.0 ist die primäre Basis für die technische Entwicklung des MIO PKA. Das Dokument richtet sich vorrangig an potentielle HerstellerInnen von Primärsystemen und beinhaltet Detailinformationen über die im Notfalldaten-Management enthaltenen Datenelementen sowie den zu Grunde liegenden XML-Schemata. Das Informationsmodell wird in zwei detaillierten Informationsmodellen getrennt voreinander dargestellt:

Das Informationsmodell Notfalldatensatz enthält die Informationen zu den notfallrelevanten medizinischen Informationen, u.a. folgende:

  • Allergien / Unverträglichkeiten
  • Medikation
  • Diagnosen (inkl. Prozeduren)
  • Besondere Hinweise (Implantate, Schwangerschaft, Kommunikationsstörungen, Weglaufgefährdung, Sonstige Hinweise)
  • Angaben zur versicherten Person
  • Zusätzliche medizinischen Informationen auf Wunsch der versicherten Person
  • Benachrichtigungskontakt im Notfall
  • Behandelnde Person, bei der die Einwilligungserklärung für den NFD liegt

Das Informationsmodell Datensatz Persönlicher Erklärungen beinhaltet u.a. folgende Informationen:

  • Aufbewahrungsort Organ- und Gewebespende
  • Aufbewahrungsort und bevollmächtigte Person Vorsorge-Vollmacht
  • Aufbewahrungsort Patientenverfügung

Darüber hinaus werden folgende Dokumente zur Analyse des NFDM im MIO-Entwicklungsprozess herangezogen:

Im Kontext der semantischen Spezifizierung der Datenelemente des NFDM sowie der EU-weiten Bereitstellung der Patientenkurzakte werden folgende Dokumente analysiert und ein Abgleich zu diesen im Rahmen der inhaltlichen Darstellung des Informationsmodells geleistet:

  • International Patient Summary (IPS) DIN EN 17269:2020-04:
    Dieses Dokument legt den Kerndatensatz für eine Patienten-Kurzakte fest, die die Kontinuität der Versorgung für eine Person und die Koordinierung der Gesundheitsversorgung unterstützt. Es hat die Unterstützung des Anwendungsfall-Szenarios für die "ungeplanter, grenzüberschreitender Versorgung" zum Ziel und soll eine internationale Patienten-Kurzakte (IPS, en: International Patient Summary) sein. Der Datensatz ist minimal und nicht allumfassend und stellt einen robusten, eindeutig definierten Satz Datenelemente zur Verfügung. Diese enge Ausrichtung auf den Anwendungsfall ermöglicht, dass die IPS auch in der geplanten Versorgung verwendet werden kann und dass sowohl die ungeplante als auch die geplante Versorgung durch diesen Datensatz in lokalen, nationalen und internationalen Kontexten unterstützt wird, was dessen Nutzen und Wert erhöht. 

  • eHDSI Patient Summary CDA Document Level Template:
    Im Rahmen des Projektes eHealth Digital Service Infrastructure (eHDSI) werden eRezepte und Patientenkurzakten ausgetauscht. Die Inhalte dieser Patient Summaries werden gemäß den Vorgaben der eHN Guideline Release 2, die 2016 verabschiedet wurde, festgehalten. Ein weiteres Release ist für 2021 geplant. Aktuell liegt der Fokus der im Projekt eHDSI entwickelten Patient Summaries auf der ungeplanten medizinischen Versorgung. Im Rahmen des Projektes werden bereits aktiv Patient Summaries zwischen einzelnen EU-Ländern ausgetauscht. Das CDA Document Level Template repräsentiert die formale Spezifikation für die technische CDA-Implementierung im Kontext der National Contact Points eHealth (NCPeH). Die NCPeH vermitteln zwischen nationalen Gesundheitsinfrastrukturen sowie deren digitalen Diensten und sind für den Austausch von Patientenkurzakten im EU-weiten Austausch zuständig.

Weitere bestehende Arbeiten zum MIO

Die Idee, dass entscheidungsrelevante medizinische Informationen für den Fall von unplanmäßig notwendig werdenden medizinischen Behandlungen übersichtlich dargestellt und schnell verfügbar gemacht werden, existiert schon seit Jahrzehnten. In der "Papierwelt" existieren zu diesem Zweck unzählige Formate für "Notfallausweise", die sich entweder konkret auf bestimmte Erkrankungen bzw. Therapien (z.B. Blutverdünnungstherapie, implantierte medizinische Geräte, Nebenniereninsuffizienz oder Epilepsie) beziehen oder eine Art allgemeine Übersicht über den medizinischen Zustand einer Person liefern sollen. 

Im Folgenden werden exemplarisch einige Arbeiten und Vorgaben im In- und Ausland beschrieben. Dies stellt keine abschließende Auflistung aller Arbeiten dar.

Arbeiten in Deutschland

Elektronischer Medikationsplan (eMP)

Informationen zur medikamentösen Behandlung können freiwillig als elektronischer Medikationsplan (eMP) auf der Gesundheitskarte (eGK) gespeichert werden. Damit sind ÄrztInnen, ZahnärztInnen, PsychotherapeutInnen und ApothekerInnen stets umfassend über die medikamentöse Behandlung informiert. Mögliche Wechselwirkungen der Arzneimittel können berücksichtigt werden. Zu den Daten des eMP gehören:

  • Stammdaten PatientIn
  • Medikationsrelevante Daten
  • Angaben zur Medikation

Weitere Ansätze für digital speicherbare Notfalldatensätze in Deutschland ohne allgemeine Verbreitung:

  • Notfallpässe innerhalb von elektronischen Gesundheitsakten (eGA)
  • Notfallinformationen innerhalb von Smartphone-Betriebssystemen

Arbeiten und Vorgaben im europäischen Ausland

In Österreich wird ein Implementierungsleitfaden für ein Patient Summary Dokument erarbeitet, der auf dem technischen Framework Clinical Document Architecture (CDA) basiert. Ziel des österreichischen Patient Summary ist es, den behandelnden Personen bzw. Einrichtungen einen schnellen Überblick über die in der ELGA (Elektronische Gesundheitsakte) verfügbaren Informationen zu einer Person zu ermöglichen.

Der Leitfaden wird im Auftrag der ELGA GmbH erstellt und soll danach als technischer Standard publiziert werden (Normierung über Ballot-Verfahren durch HL7 Austria).

HL7-Projekt "International Patient Summary"

Auf Basis der DIN EN 17269 hat HL7 Implementierungsleitfäden für die Standards CDA und FHIR® entwickelt. Darüber hinaus existiert ein Entwurf zum Informationsmodell in ART-DECOR®. 

IHE-Projekt "International Patient Summary"

Auf Basis der HL7 Implementierungsleitfäden wurde ein IHE-Profil entwickelt. Im Detail werden die verschiedenen Anwendungsszenarien im Kontext der IPS beschrieben. 

Internationale Organisation für Normung

Die International Patient Summary soll bis 2021 auf Basis der CEN EN 17269 in die ISO/DIS 27269 überführt werden.

Fazit

Das MIO PKA leistet die semantische und syntaktische Spezifizierung des Notfalldaten-Managements. Die MIO-Entwicklung basiert dazu vorrangig auf der Spezifikation Notfalldaten-Management der gematik GmbH in der Version 1.6.0. Um der Zielsetzung einer EU-weiten und somit grenzüberschreitenden Anwendung der elektronischen Patientenkurzakte zu entsprechen, werden die Datenelemente semantisch ausspezifiziert, das heißt, mit entsprechenden Codes annotiert bzw. durch ValueSets ergänzt und in einer technischen FHIR-Spezifikation repräsentiert.

Für eine technische Weiterentwicklung der Datenelemente werden internationale Projekte und Standards berücksichtigt, insbesondere die IPS DIN EN 17269:2020-04 sowie das eHDSI Patient Summary CDA Document Level Template. Darüber hinaus werden die maßgeblich beteiligten Organisationen intensiv in die MIO-Entwicklung einbezogen. Die Überführbarkeit von NFD und DPE von der eGK in die Online-Anwendung ePKA sowie die EU-weite Bereitstellung der Daten über den NCP sind die primären Ziele der MIO-Entwicklung.

Perspektivisch ist eine Fortschreibung des MIO PKA möglich und eine diesbezügliche Bedarfsermittlung relevant. Insbesondere sollten Erkenntnisse aus dem Kontext der medizinischen Akutversorgung betrachtet und analysiert werden, sofern diese einen Bedarf für die Bereitstellung zusätzlicher Datenelemente aufzeigen. Die Datenstruktur Patientenkurzübersicht (PKÜ) bietet mit ihrem umfangreichen medizinischen Informationen interessante Entwicklungspotenziale.