Rechtlicher Rahmen

Die World Health Organization (WHO) definiert mHealth als medizinische Verfahren und Praxisanwendungen in der öffentlichen Gesundheitsfürsorge, die durch mobile Geräte, wie z.B. Smartphones, und andere Drahtlos-Geräte unterstützt werden.1 In Deutschland werden dazu immer mehr sogenannte "Gesundheits-Apps" verwendet. Mittlerweile nutzen mehr als 20 Millionen Menschen in Deutschland solche Apps. Die Corona-Pandemie hat zu einer erhöhten Nachfrage im Bereich Diagnostik-Apps geführt.2

In Deutschland wird zwischen drei unterschiedlichen Typen von Gesundheits-Apps unterschieden3:

  1. Lifestyle-Apps: z.B. Fitnesstracker oder Ernährungs- und Bewegungs-Apps
  2. Service-orientiertere Apps: Erinnern z.B. an die Einnahme von Medikamenten oder Überwachen den Impfstatus
  3. Medizinische Apps: Dienen der Diagnose und/oder Therapie einer Erkrankung und sind als Medizinprodukte zugelassen

Mit dem Inkrafttreten des Digitalen Versorgungsgesetzes (DVG) sind seit Oktober 2020 Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die zum dritten Typ von Gesundheits-Apps gehören, zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig4.

Im Mitte 2021 verabschiedeten Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) wurden die konkreten Anforderungen an die Interoperabilität für DiGA geregelt. In § 341 Abs. 2 SGB V wird festgelegt, dass ab dem 01. Januar 2023 die versorgungsrelevanten Daten aus einer DiGA auf Wunsch der versicherten Person in einem interoperablen Format in die elektronische Patientenakte (ePA) übertragen werden müssen. Die KBV ist nach § 355 Abs. 2a SGB V dafür zuständig, die semantischen und syntaktischen Festlegungen für solche Daten zu treffen und ein medizinisches Informationsobjekt (MIO) zu veröffentlichen. Perspektivisch ist vorgesehen, dass das MIO zum Ende jedes Kalenderhalbjahres fortgeschrieben wird.

Die Sicherstellung der Interoperabilität ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal einer DiGA und muss im Rahmen des Fast-Track-Verfahrens, für das das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zuständig ist, durch DiGA-HerstellerInnen nachgewiesen werden. Die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) bildet die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Anforderungen in Bezug auf Interoperabilität. Welche Standards für den maschinenlesbaren Export von Daten aus einer DiGA in die ePA bevorzugt zu verwenden sind, definiert die Interoperabilitätskaskade nach § 6 DiGAV. Das MIO ist der bevorzugte Standard und muss, spätestens ein Jahr nach Veröffentlichung durch die KBV, durch DiGA-HerstellerInnen implementiert werden. Das bedeutet, dass bereits aufgenommene DiGA im DiGA-Verzeichnis nach § 139e SGB V das MIO nachträglich berücksichtigen müssen. 

Fachliche Entwicklungsgrundlage MIO

Um der Bandbreite an möglichen Informationsinhalten und Anwendungsszenarien gerecht zu werden, welche durch eine DiGA potentiell in die ePA übertragen werden könnten, wurde im Rahmen der MIO-Entwicklung zunächst eine umfangreiche Marktanalyse durchgeführt und die in den DiGA abgebildeten Daten geclustert. Schwerpunktmäßig haben wir uns angesehen, zwischen welchen DiGA Schnittmengen in Bezug auf die versorgungsrelevanten Daten bestehen. Parallel zu unseren Recherchen wurden die Kontakte zu DiGA-HerstellerInnen aufgebaut. Dank der Übermittlung von Testdatenexporten und Testzugängen der HerstellerInnen konnten wir hilfreiche Erkenntnisse zu den Anwendungsszenarien gewinnen. Um eine indikationsoffene und herstellerunabhängige MIO-Spezifikation zu entwickeln, wurde nach eingehender Marktanalyse und technischer Machbarkeitsprüfung beschlossen, ein sogenanntes DiGA Toolkit als MIO zu etablieren, um einerseits die große Bandbreite an medizinischen Informationselementen berücksichtigen zu können und andererseits die Anwendbarkeit für alle DiGA-HerstellerInnen zu ermöglichen. Dabei wurden alle im DiGA-Verzeichnis nach § 139e SGB V gelisteten Anwendungen und die damit verbundenen Indikationen / Patientengruppen der DiGA zum Stand 08.06.2021 betrachtet.

Das DiGA Toolkit beinhaltet verschiedene Metadaten, wie z.B. Patienteninformationen und weitere Informationen, die zur Identifikation einer DiGA in der ePA notwendig sind. Darüber hinaus gibt es eine Palette medizinisch relevanter Module, wie z.B. Vitalzeichen und Körpermaße, Aktivitäten, Medikation oder Probleme. 



Da nicht jede DiGA jedes medizinische Modul für ihren speziellen Anwendungsfall benötigt, werden die Module als optionale Bausteine im Datenmodell definiert. Dadurch wird ermöglicht, dass eine DiGA ausschließlich die für sich relevanten Elemente aus dem Toolkit implementieren muss. Die Meta-Informationen hingegen sind für jede DiGA obligatorisch umzusetzen.

Der MIO-Entwicklungsprozess zeichnet sich durch die aktive Einbindung der relevanten und maßgeblich beteiligten Stakeholder bzw. Interessengruppen aus, z.B. im Rahmen von Workshops oder auch virtuellen Expertenaustauschen. Um eine adäquate Repräsentation aller medizinischen Informationen für die hier betrachteten DiGA-HerstellerInnen zu gewährleisten, haben wir unsere Aktivitäten auf die DiGA-Community konzentriert und uns in Workshops gemeinsam mit den DiGA-HerstellerInnen zu unserem MIO-Ansatz verbunden und ausgetauscht. Der an zwei Tagen stattgefundene DiGA-HerstellerInnen-Workshop im Juni 2021 war der Startpunkt eines sich in der mio42 bewährenden Co-Creation-Ansatzes, der für den Erfolg dieses MIO unerlässlich ist.

Am Workshop haben 10 von 12 eingeladenen DiGA-HerstellerInnen teilgenommen. Insgesamt wurden von sechs TeilnehmerInnen DiGA-Datensätze an die mio42 übermittelt:

Das von uns entwickelte Datenmodell wurde durch einige der teilnehmenden HerstellerInnen geprüft und im weiteren Schritt im Rahmen einer Vorkommentierung genau unter die Lupe genommen. In gemeinsamen Einzel-Sessions mit den EntwicklerInnen der betrachteten Gesundheitsanwendungen haben wir unsere Datenstruktur reflektiert, neue Bausteine in unserem Modell integriert und Schnittmengen zu anderen DiGA und bestehenden MIOs gefestigt. Auf diese Weise konnten wir uns dem Ziel annähern, die Bedürfnisse des mHealth-Marktes abzudecken.

Arbeiten und Entwicklungen im europäischen Ausland

Im Folgenden werden exemplarisch einige vergleichbare Entwicklungen im Ausland beschrieben, die ähnlich wie DiGA im Kontext von mHealth relevant sind. Dies stellt keine abschließende Auflistung aller Entwicklungen dar.

Aus einer Marktanalyse des Forschungsunternehmens research2guidance aus 2017/2018 geht hervor: Dänemark, Finnland, die Niederlande, Schweden und Großbritannien bieten die besten Marktbedingungen für mHealth-Unternehmen in der EU. Generell unterscheiden sich die Länder in ihrer Marktreife für mHealth. Kriterien der Marktreife: z. B. Smartphone-Verbreitung, Tablet-Verbreitung, Anteil der Hausärzte, die eRezept verwenden, etc.5

Im Jahr 2014 wurde von der europäischen Kommission ein green paper zur Zielsetzung und Strategie in Bezug auf mHealth aufgesetzt. Neben Themen wie Patientenzentrierung, Big Data und Marktanalysen wurde eine Strategie aufgesetzt, die auch finanziell die Mitgliedsstaaten in der Umsetzung von mHealth-Maßnahmen unterstützen soll. Dem Thema Interoperabilität wurde ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem dargestellt wird, dass der valide Nutzen von Softwarelösungen erst durch Systeminteroperabilität gewährleistet werden kann.6

Neben der europäischen Initiative zur Verbesserung des Angebotes hat eine Kooperation aus WHO, ITU (International Telecommunication Union) und dem Gesundheitsministerium Andalusien einen europäischen mHealth-Hub eingerichtet.7

Vereinigtes Königreich 

Im Vereinigten Königreich besteht eine große eHealth-Kultur. Hinzu kommt der Aspekt, dass durch die sogenannte General Practitioner Database bereits ein Electronic Health Record-System (EHR-System) besteht.8 Eine Ausweitung auf andere Fachgruppen und Kliniken war in den letzten Jahren jedoch nicht erfolgreich. Dennoch erleichtert der Fortschritt im digitalen Gesundheitssektor die Implementierung von mobilen Gesundheitslösungen. Das Department of Health and Social Care (NHS) hat eine Landing Page sowie Schnittstellen für HerstellerInnen entwickelt.9

Niederlande

Die Niederlande bieten eine offizielle Seite, die über digitale Gesundheitsanwendungen informiert. Insgesamt stehen über 100 Apps zur Verfügung, von denen jedoch nicht alle als zertifizierte Medizinprodukte eingetragen sind. Anhand von drei Kriterien wird die Qualität einer App bewertet: Datensicherheit, Zuverlässigkeit und Benutzerfreundlichkeit.10

Dänemark

Dänemark ist eines der führenden Länder europaweit, wenn es um die Nutzung und die Implementierung von Gesundheitsanwendungen geht. Zuständig für die Entwicklung ist das dänische Gesundheitsministerium SUM (Sunheitsministeriet). Es bestehen Kooperationen zum NHS. Begonnen hat Dänemark mit den sogenannten MindApps, die schwerpunktmäßig einen psychotherapeutischen Ansatz verfolgen.11

Belgien

Belgien verfolgt einen spannenden Ansatz, in dem es mHealth-Apps mittels einer validation pyramid klassifiziert. Level 1 beschreibt hierbei die Minimum-Anforderung einer App und fordert, dass eine App mindestens als zertifiziertes Medizinprodukt zugelassen ist und die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einhält. Im höchsten Level 3 muss eine mHealth-App nachweisen, dass sie bereits einen sozioökonomischen Mehrwert erzielt hat.12

Arbeiten und Entwicklungen im nicht europäischen Ausland

Nordamerika

Die USA gelten als führende Nation in Bezug auf die mHealth-Entwicklung der letzten Jahre. Der Patient Protection and Affordable Care Act (PPACA) - auch als Obamacare bezeichnet - hat den Grundstein für diese Entwicklung gelegt. Es wurde u.a. ein Zertifizierungsprozess für EHR-Systeme eingeführt. Mobile Gesundheitsanwendungen übermitteln zunehmend medizinische Informationen in die EHR-Systeme von Kliniken. Nordamerika dominiert den mHealth-Markt deutlich und repräsentiert ca. 38% aller Apps weltweit. Ähnlich wie in Deutschland hat auch in den USA die Corona-Pandemie zu einem enormen Wachstum von Gesundheits-Apps geführt. Die Organization for the Review of Care and Health Applications (ORCHA) geht von einem Wachstum in Höhe von 25 % in 2020 aus.13

Fazit

Das MIO DiGA Toolkit leistet die semantische und syntaktische Spezifizierung der versorgungsrelevanten Daten, die aus DiGA in die ePA exportiert werden sollen. Die MIO-Entwicklung betrachtet dazu alle im DiGA-Verzeichnis nach § 139e SGB V gelisteten DiGA zum Stand 08.06.2021. Zur erfolgreichen Umsetzung wurden die betroffenen DiGA-HerstellerInnen engmaschig in die Entwicklung im Rahmen von Workshops und Vorkommentierungen eingebunden. Darüber hinaus werden möglichst viele der bereits abgestimmten KBV-Basis-Profile genutzt, um die Interoperabilität des MIO zu gewährleisten.

Um die Implementierung des MIO für Primärsystem-HerstellerInnen sowie DiGA-EntwicklerInnen zu vereinfachen, werden bei Kommentierungsstart des DiGA Toolkits hilfreiche Operationalisierungshinweise, Beispielumsetzungen in Bezug auf die FHIR®-Profile und weitere nützliche Informationen zur Umsetzung durch die mio42 bereitgestellt.

In § 355 Abs. 2a SGB V wird geregelt, dass die Festlegungen im DiGA-Kontext zum Ende jedes Kalenderhalbjahres fortzuschreiben sind. Um dieser Zielsetzung gerecht zu werden, wird die KBV und mio42 eine fortlaufende Bedarfsermittlung in enger Abstimmung mit dem BfArM als zuständige Behörde für das DiGA-Fast-Track-Verfahren durchführen und entsprechende Entwicklungspotenziale definieren.

Querverweise