Bestehende Arbeiten und Vorgaben zum Untersuchungsheft

Bei der Geburt eines Kindes erhalten Eltern das Untersuchungsheft für Kinder (auch Kinderuntersuchungsheft, U-Heft, und Gelbes Heft genannt). Ärztinnen und Ärzte können darin Datum und Ergebnisse der U-Untersuchungen dokumentieren. Die Dokumentation der U1 direkt nach der Geburt kann im Falle von Hausgeburten oder Geburten im Geburtshaus auch durch Hebammen und Entbindungshelfer ausgefüllt werden. Gleichzeitig dient das Heft den Eltern zur Vorbereitung nachfolgender U-Untersuchungen. Eltern erhalten das U-Heft kurz nach der Geburt.

Das U-Heft basiert auf der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern (Kinder-Richtlinie)1 und ist dort als Anlage 1 enthalten2. Es wurde erstmals 1971 mit Veröffentlichung im Bundesanzeiger eingeführt. Durch den Normcharakter der Richtlinie sind die Vorgaben des U-Heftes maßgeblich. Änderungen, Anpassungen oder Umformulierungen der Elemente des U-Heft würden einen formalen Beschluss des G-BA-Plenums erforderlich machen. Eine englische Version des U-Heftes wurde ebenfalls veröffentlicht.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. empfiehlt weitere U-Untersuchungen, die über das U-Heft hinaus gehen; diese sind im so genannten „Grünen Heft“ zusammengefasst3. Das „Grüne Heft“ ist jedoch nicht Bestandteil der Richtlinie des G-BA und hat keinen Normcharakter; die zusätzlichen Vorsorgeuntersuchungen werden nicht von allen Krankenkassen erstattet. Es ist daher auch kein Teil der aktuellen Umsetzung des U-Heftes als Anlage der Kinder-Richtlinie nach § 26 i.V.m. § 92 SGB V.

Die Zeitpunkte der U-Untersuchungen des U-Heftes:

KinderuntersuchungTermin
U1Geburt
U23.-10. Lebenstag
U34. - 5. Lebenswoche
U43.–4. Lebensmonat
U56.–7. Lebensmonat
U610.–12. Lebensmonat
U721.–24. Lebensmonat
U7a34.–36. Lebensmonat
U846.–48. Lebensmonat
U960.-64. Lebensmonat

Die Inhalte des U-Heftes:

Die Untersuchungen umfassen Items aus den Bereichen Anamnese, Entwicklung, Untersuchung, Beratung und Ergebnisse. Viele der Inhalte sind als Checklisten-Items aufgebaut, die die behandelnde ärztliche und geburtshelfende Person an die Dinge erinnern soll, die erfragt oder besprochen werden sollen. Dazu gehören anamnestische Risikokonstellationen und Symptome sowie mögliche Probleme oder Informationen zu Unterstützungsangeboten. Im U-Heft werden verschiedene Datentypen verwendet. Neben Quantitäten wie Größe und Gewicht sind dort auch einfache Ankreuzfelder (Booleans) wie „Vitamin-K-Prophylaxe gegeben“ enthalten.

Der Aufbau des U-Heft intendiert, dass die meisten Felder nur bei Auffälligkeiten angekreuzt werden. Wenn beispielsweise in der Untersuchung das Datenfeld "Herztöne" angekreuzt wird, dann wäre dies als Auffälligkeit in Bezug auf die Herztöne zu deuten. Zudem sind einige Parameter als disziplinübergreifende Ankreuzfelder angelegt wie „schwerwiegende Erkrankungen seit der letzten Untersuchung, Operationen“ oder „Schwierigkeiten beim Trinken, Schlucken, keine altersgemäße Ernährung“, die sowohl psychische als auch somatische Auffälligkeiten einschließen.

Die Nutzung abrechnungsrelevanter ICD-Codes ist weder bei den Checklisten-Inhalten noch bei den übergreifenden Inhalten möglich und in diesem Kontext auch nicht gewollt

Arbeiten in Deutschland

Die Digitalisierung des U-Heftes ist in Deutschland noch nicht umgesetzt, sie wird jedoch weitgehend begrüßt. Von Seiten des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ) werden die Bestrebungen der Digitalisierung des U-Hefts unterstützt4

In der Vergangenheit gab es Bestrebungen, Inhalte des U-Heftes u.a. in lokalen Projekten zu digitalisieren, wie verschiedene Gespräche ergeben haben. Diese sind jedoch aus diversen Gründen eingestellt worden. Projektabschlüsse scheinen nicht veröffentlicht bzw. zugänglich zu sein.

Verschiedene private Anbieter offerieren eine digitale Version des U-Heftes bzw. einzelner Inhalte daraus, vor allem zur Dokumentation dieser z.B. im Praxisverwaltungssystem für ärztlichen Personen. Für Eltern gibt es erste Anbieter digitaler U-Hefte, wobei die Ausgestaltung der Inhalte teils wenig transparent bereitgestellt werden.

Arbeiten und Vorgaben im europäischen Ausland

Frankreich

Obligatorisch sind Vorsorge-Untersuchungen im Alter von 8 Tagen, 9 Monaten und 24 Monaten – Stand 2018. Die Bescheinigungen für das Untersuchungsheft (Carnet de santé d'un enfant) werden von den französischen Behörden bereitgestellt. Die Fragebögen sind auf der Homepage in digitaler Form als PDF abrufbar. Es wird zudem eine nationale Plattform für die Weiterleitung von Bescheinigungen zur Verfügung gestellt, über das diese in einem Standardaustauschformat an die Behörden übermittelt werden können. Die Entwicklung erfolgte in Zusammenarbeit mit der nationalen Digital-Behörde (ASIP Santé)5. Es wird erwähnt, dass die Übermittlung im Format CDA XPATH erfolgt. Detaillierte Informationen im Hinblick auf die semantische und syntaktische Interoperabilität waren jedoch nicht zu finden bzw. weiterführende Informationen nur auf Französisch zugänglich.

Die Klassifikation erfolgt nach der Classification Internationale des Soins Primaires (CISP); die Codierung medizinischer Items folgt dabei der Classification internationale des maladies (CIM), einer französischen Adaptation der ICD Klassifikation.

Großbritannien

Analog zu dem Gelben Heft in Deutschland gibt es in Großbritannien das „red book". Erfasst wird der „The Ages and Stages Questionnaire (ASQ-3)“ im Alter von 9 Monaten und 2 Jahren. Inzwischen liegt eine elektronische Version, das eRedbook vor, die sukzessive ausgerollt werden soll. Sie wird als interoperabel innerhalb des britischen Gesundheitssystems beschrieben6. Vollständige Spezifikationen sind jedoch nicht veröffentlicht.

Der National Health Service (NHS) treibt mit dem Projekt Digital Child Health explizit die Standardisierung von Gesundheitsdaten von Kindern und Jugendlichen voran, um die Interoperabilität zwischen Systemen zu gewährleisten7. Inwieweit dies bereits im eRedbook umgesetzt ist, lässt sich nicht abschließend nachvollziehen. Künftig soll hierfür der FHIR Standard genutzt werden. Die Codierung der Inhalte erfolgt mittels SNOMED CT®8. Grundsätzlich scheint das deutsche U-Heft umfangreicher in seinen fachlichen Inhalten zu sein. Bei übereinstimmenden Inhalten erfolgt hier eine Prüfung und ein Abgleich der Codes.

Niederlande

Das niederländische Untersuchungsheft „GroeGids“ (Growth Guide) enthält wichtige Information zu Entwicklung, Gesundheit und Sicherheit des Kindes zwischen 0-4 Jahren und wird nach der Geburt an die Eltern in Papier ausgegeben. Der Growth Guide wird auch als Download zum Ausdrucken bereitgestellt. Zudem liegt er als App vor9. Nähere Informationen zur technischen Ausgestaltung stehen nicht zur Verfügung.

Österreich

Im öffentlichen Gesundheitsportal Österreich wird ein Überblick über das Untersuchungsprogramm und der Mutter- und Kind-Pass angeboten10. Der Mutter-Kind-Pass wird derzeit reformiert. Perspektivisch soll er digitalisiert und in die ELGA eingebaut werden.

Schweiz

In der Schweiz werden die Vorsorgeuntersuchungen mit auffälligen Befunden, Checklisten und einem Terminplan im Gesundheitsheft der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie dokumentiert11. Eine digitale Version des Gesundheitsheftes gibt es bisher nicht. Es ist geplant im Rahmen eines Forschungsprojektes die sogenannte Kinder- und JugendgesundheitsheftApplikation (GHAPP) zu entwickeln – genauere Inhalte und Zeitpläne dazu sind bisher nicht veröffentlicht12.

Arbeiten und Vorgaben im nicht europäischen Ausland

Australien

Je nach Bundesstaat gibt es entweder ein „red book" oder ein „blue book" zur Dokumentation der Vorsorge. Derzeit entwickelt eine Initiative digitale Standards für die digitale Kinderakte (Child Digital Health Record). Die Daten sollen auf der Kinder Gesundheitsplattform (Child Data Hub) zur Verfügung stehen13. Spezifiziert wird dies im FHIR Standard. Die Plattform befindet sich jedoch zurzeit noch im Aufbau.

USA

Standardisierte verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen sind in den USA nicht vorgesehen. Nichtsdestoweniger gibt es Empfehlungen und Leitfäden der American Academy of Pediatrics (AAP) zu Vorsorgeuntersuchungen („periodicity schedule“ for well-child visits)14,15, Materialien sowie digitale Anwendungen für die Verfolgung der Entwicklung des Kindes.

Das amerikanische Centers for Disease Control and Prevention (CDC) bietet Materialien für das Screening auf Entwicklungsprobleme. Auf der Website sind die Fragebögen als Booklet im PDF-Format abrufbar. Zusätzlich können Eltern eine Meilenstein (Milestone)-Tracker-App herunterladen. Hier sind diverse Fragebögen vorhanden; diese richten sich jedoch an die Eltern16. Auch die Amerikanische Fachgesellschaft für Pädiatrie (AAP) bietet eine Liste von einschlägigen Fragebögen zum Verkauf, offenbar im PDF-Format17. Darüber hinaus gibt es weitere Angebote der AAP, von non-Profit Organisationen oder kommerziellen Organisationen, die Gesundheitsinformationen zu diesem Thema bieten und verschiedene Tests bereitstellen18–20.

Allgemein handelt es sich jedoch um Materialien und weniger um die standardisierte Dokumentation von Ergebnissen aus Vorsorgeuntersuchungen.

Fazit

Die Digitalisierung der Dokumentation von Kindervorsorgeuntersuchungen ist sowohl im In- als auch Ausland noch in den Anfängen. Spezifikationen und Value Sets in den für Deutschland festgelegten Formaten (FHIR und SNOMED CT®) stehen so gut wie nicht zur Verfügung. Zwar gibt es in anderen Ländern ebenfalls Pässe zur Dokumentation der Entwicklung von Kindern, diese enthalten jedoch andere Untersuchungszeitpunkte, -intervalle und -inhalte. Das deutsche U-Heft unterliegt zudem den normativ bindenden Inhalten der Kinder-Richtlinie des G-BA welches somit die Anlehnung an ausländische Ausgestaltungen erschwert. Internationale Standards werden bei der Entwicklung des MIO „U-Heft“ berücksichtigt. Die alleinige inhaltliche Grundlage stellt die Kinder-Richtlinie dar.


Stand:  

References

  1. Gemeinsamer Bundesausschuss. Kinder-Richtlinie: Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern; 14. November 2019.
  2. Gemeinsamer Bundesausschuss. Anlage 1 - Untersuchungsheft für Kinder; November 2019.
  3. äin-red. Neues Gesundheits-Checkheft vom BVKJ; 22.02.2005.
  4. Thomas Fischbach, Andreas Plate, Kathrin Jackel-Neusser. Stellungnahme des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) e. V. zum Entwurf eines Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale VersorgungGesetz – DVG, Entwurf vom 15.5.2019). Jinder- und Jugendarzt. 2019(8/19):437–440.
  5. Ministère des Solidarités. Les certificats de santé de l’enfant. https://solidarites-sante.gouv.fr/prevention-en-sante/sante-des-populations/enfants/article/les-certificats-de-sante-de-l-enfant. Updated March 05, 2018. Accessed May 28, 2020.
  6. sitekit. Personal Child Health Record. https://www.eredbook.org.uk/. Accessed June 05, 2020.
  7. NHS Digital. Digital Child Health. https://digital.nhs.uk/services/digital-child-health. Updated February 04, 2020.
  8. Professional Standards Recors Body. Healthy child record specification V2. https://theprsb.org/standards/healthychildrecordstandard/. Accessed June 05, 2020.
  9. GGD Amsterdam. Groeigids. https://www.groeigids.nl/.
  10. Redaktion Gesundheitsportal. Der Mutter-Kind-Pass auf einen Blick. https://www.gesundheit.gv.at/leben/eltern/mutter-kind-pass/mutter-kind-pass-untersuchungen. Updated January 31, 2020. Accessed May 29, 2020.
  11. Pädiatrie Schweiz. Gesundheitsheft. https://www.paediatrieschweiz.ch/unterlagen/#gesundheitsheft.
  12. Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Forschungsbericht: Schwerpunkt: Neue Technologien im Gesundheitswesen. 2019.
  13. Australian Digital Health Agency. National Children's Digital Health Collaborative. https://conversation.digitalhealth.gov.au/childrens-collaborative/our-initiatives. Accessed June 05, 2020.
  14. Centers for Disease Control and Prevention. Developmental Monitoring and Screening for Health Professionals. https://www.cdc.gov/ncbddd/childdevelopment/screening-hcp.html. Updated April 07, 2020. Accessed June 08, 2020.
  15. American Academy of Pediatrics. Enganging Parents and Children. https://www.aap.org/en-us/professional-resources/practice-transformation/managing-patients/Pages/Periodicity-Schedule.aspx. Updated 2020. Accessed June 08, 2020.
  16. Centers for Disease Control and Prevention. Developmental Surveillance Resources for Healthcare Providers. https://www.cdc.gov/ncbddd/actearly/hcp/index.html. Updated April 09, 2020. Accessed June 05, 2020.
  17. American Academy of Pediatrics. Links to Commonly Used Screening Instruments and Tools. https://toolkits.solutions.aap.org/selfserve/ssPage.aspx?SelfServeContentId=screening_tools. Updated March 06, 2020. Accessed May 29, 2020.
  18. American Academy of Pediatrics. Milestones Matter: 10 to Watch for by Age 5. https://www.healthychildren.org/English/family-life/health-management/Pages/Milestones-Matter.aspx. Updated July 21, 2016. Accessed June 05, 2020.
  19. The Nemours Foundation. Your Child's Checkups. https://kidshealth.org/en/parents/checkups.html. Accessed June 05, 2020.
  20. Melissa Stoppler. Developmental Screening - Critical for Every Child. https://www.medicinenet.com/developmental_screening_-_critical_for_every_child/views.htm. Accessed June 05, 2020.